Vor 150 Jahren: Selbstbewusster Griff nach Aufsicht über die Regierung

1865 gibt sich der Grosse Rat ein revidiertes «Grossrathsreglement». Er professionalisiert nicht nur den Ratsbetrieb, sondern schreibt sich auch selbstbewusst mehr Aufsicht über die Regierung zu. Unter anderem schafft er mit der «Ständigen Kommission zur Prüfung der Verwaltungsberichte» die Anfänge der heutigen Geschäftsprüfungskommission. Auch die Finanzkommission nimmt Form an. Basel-Stadt ist auf der Zielgerade zum modernen Staatswesen mit Gewaltentrennung.

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Das Parlament verlangt die Oberaufsicht © Staatsarchiv BS, VISCH.C16 

 

«Ziemlich formlos» habe sich der Verkehr zwischen Regierung und Parlament bisher gestaltet, und in einer Art, die «auf die Würde der gesetzgebenden Behörde zu wenig Rücksicht nahm». Dies stellt 1865 eine Grossratskommission fest, die zum Zweck der Revision des Grossratsreglements geschaffen worden war.

Noch kennt Basel-Stadt keine vollständige Gewaltentrennung. Der Kleine Rat (wie die Regierung bis 1875 heisst) und zwei Bürgermeister gehören dem Grossen Rat ebenfalls an. Bis 1847 wurde dieser sogar noch von einem der beiden Bürgermeister geleitet.

Der Grosse Rat beschliesst über Gesetzesvorlagen, Steuern und Staatsverträge. Eine Oberaufsicht über Regierung, Verwaltung und Justiz – heute eine der zentralen Aufgaben jedes Parlaments – ergibt sich jedoch höchstens über die Prüfung der Staatsrechnung. Nun wird eine ständige, siebenköpfige «Kommission zur Prüfung der Verwaltungsberichte des Kleinen Raths und des Appellationsgerichts» eingeführt. Der Grosse Rat folgt damit seiner mit der Revision beauftragten Kommission, die in Aussicht stellt, dass dadurch «das Interesse der einzelnen Grossrathsmitglieder mit ihrer näheren Kenntnis der Verwaltung Schritt halte».

Auch die heutige Finanzkommission nimmt 1865 Form an

Bisher gab es an ständigen Kommissionen nur jene zur Staatsrechnung sowie die von 1831 und damit als älteste ständige Kommission datierende Petitionskommission. Nun erfährt erstgenannte eine Aufwertung; sie wird zur siebenköpfigen «Kommission zur Prüfung der Staatsrechnung und des Voranschlags über die muthmasslichen Einnahmen und Ausgaben». Die Begründung der vorbereitenden Kommission: «Je mehr unser Voranschlag aus einer blossen unmassgeblichen Notiz Wesen und Gestalt eines Budgets annimmt, je mehr wird es nötig, dass auch der Grosse Rath denselben verarbeite».

Die Ausgaben des Kantons betragen zu jener Zeit 1,2 Millionen Franken, jene der Stadt – noch werden Kanton und Stadt getrennt verwaltet – 560‘000 Franken...

Rausschmiss für «beharrlichen Unfleiss»

Das Grossratsreglement von 1865 zieht die Zügel aber auch gegenüber den Ratsmitgliedern an. Einmal jährlich wird nun das Absenzenverzeichnis im Rat verlesen, protokolliert und im Kantonsblatt publiziert. Im Fall «beharrlichen Unfleisses» ist der Ausschluss eines Ratsmitglieds möglich. Auch die Ausstandspflicht von Ratsmitgliedern wird klarer geregelt. Nicht zuletzt sollen die Kommissionen ihre Arbeit besser dokumentieren und belegen. In rudimentärer Form erscheinen erstmals Kommissionssekretariate und das Ratsbüro.

Basel-Stadt befindet sich auf der Zielgerade zum modernen Staatswesen. Mit der Totalrevision der Kantonsverfassung von 1875 wird die Gewaltentrennung dann endlich – im schweizerischen Vergleich spät – formell verankert. 

 

Text: Eva Gschwind und André Salvisberg, Parlamentsdienst Basel-Stadt

Quellen: Digitalisierte Grossratsprotokolle vom 13.03. bis 20.11.1865, Grossratsreglemente von 1803, 1831, 1850 und 1865 sowie Rechnungen von Kanton und Stadt 1865; Staatsarchiv Basel-Stadt.